Die Geschichte zur Geschichte: Jahrelang traf mein Vater regelmäßig in seiner Stammkneipe den Kap Hornier Kapitän Axel Möller, also einen Kapitän der noch das Kommando auf einem Kap Horn rundenden Großsegler gehabt hatte. Eines Tages hat dieser meinem Vater – gebunden in einen unscheinbaren Pappdeckel – den von einem anderen Kap Hornier verfassten unveröffentlichten Bericht von dessen erster Rundung des Kaps geschenkt. Mein Vater schenkte das Heft kurz vor seinem Tod mir. Und ich habe es dann irgendwann vergessen. Schlimmer noch: bei einem Großaufräumen meines Büros hatte ich es schon in den Karton „kann weg“ entsorgt. Nur dass so gar nichts auf dem Heftdeckel stand, bewegt mich, noch mal nachzuschauen, ob ich da nicht was Wichtiges weggeworfen hatte. Ich hätte! Für mich ist es eine der besten Geschichten, die ich je gelesen habe. Gerade weil sie so holprig und ungeschliffen daher kommt und obwohl die Verehrung ihres Helden so unbeholfen anmutet, gefällt sie mir unendlich viel besser als der Feinschliff mancher Edelfeder. Jens Thomsen
Autor der Geschichte ist einer der berühmtesten Kap Horn-Kapitäne, Robert Clauß, der 35 mal das Kap rundete. Davon 15 mal als Schiffsführer- u.a. mit den legendären Flying P-Liners Padua, Pamir und Priwall. Die Geschichte wurde zur Veröffentlichung freigegeben von seiner Tochter Minne Nolze. Sie arbeitet als „Passat”- Führerin auf dem in Travemünde liegenden P-Liner, den ihr Vater auf der letzten Reise des Schiffes nach Travemünde überführte. Fast alle Fotos, mit der diese Erzählung illustriert wurde, hat die chilenische Vereinigung der Caphorniers (www.caphorniers.cl) zur Verfügung gestellt.
Kap Horn – Eine Umsegelung
des Kaps von der Deutschen Viermastbark
“Renée Rickmers” 1911
Reise von Barry Dock nach Mejillones in 202 Tagen erzählt vom Leichtmatrosen Robert.
von Kapitän Robert Clauß
Reisedaten Am 5. November 1911 hatte die deutsche Viermastbork “Renée Rickmers” ihren langen, beschwerlichen Kampf um Kap Horn beendet und überquerte den 50. Breitengrad Pazifik. Das sind die Reisedaten:
- Am 5. Mai 1911 hatte das Schiff den Ladehafen Barry Dock verlassen, beladen mit 3100 Tonnen Kohle.
- Am 10. Juli überquerte das Schiff den 50. Breitengrad, Süd, im Atlantik.
- Am 1. August lief es in den Nothafen Port Stanley, Falkland Inseln ein.
- Am 25. September verließ das Schiff Port Stanley, Richtung Kap Horn.
- Am 5. November überquerte es den 50. Breitengrad südlicher Breite im Pazifik.
- Am 22. November, Buß- und Bettag 1911, lief das Schiff im Löschhafen Mejillones, an der Chileküste ein.
- An Kap Horn vor Port Stanley 22 Tage; nach Port Stanley 42 Tage; 64 Seetage um Kap Horn.
- Totale Reisedauer von Barry Dock nach Mejillones 202 Tage
Der Schreiber dieses Berichtes ist der Leichtmatrose Robert, damals auf Backbord Wache. Hiermit folgt eine kurze Beschreibung des Schiffes: Die “Renée Rickmers” wurde 1893 auf einer englischen Werft gebaut, aus Eisen. Sie war ein Glattdecker. Vorn eine kurze Back mit dem Mannschaftslogis, hinterm Großmast das Haus, in dem das Zimmerhock, das Logis der Mittschiffsgäste und die Kombüse war; achtern die Poop. Das Schiff hatte 3 Ladelucken, möglich vor dem Fockmast noch eine kleine Lucke. Die Untermasten waren Eisen. Die Mars- und Bramstengen, die oberen Raaen, Bugspriet und Klüverbaum, Besahnsbaum und Gaffel waren Holz. Das Schiff fuhrt doppelte Mars-, enkelte Bramsegel und Royals, drei Klüver, nur Stengestag-Segel und nur eine Gaffel. Es hatte Handbrassen. Obermars- Bram- und Royalraaen waren nur mit Taljen zu heisen und mit viel Knochenfett, versteht sich. An Deck standen auf der Back das Ankerspill und auf dem Achterdeck ein ganz kleines Gangspill, welches aber viel Arbeit leisten mußte. Das Ruderrad war an der Ruderschnecke, die vom Teakholz Ruderkasten bedeckt wurde. Im Logis waren je 10 Kojen, in denen je 6 Matrosen und 3 Junggrade wohnten; je Wache neun Mann. Mittschiffs im Haus wohnten der Zimmermann und Segelmacher, unter der Poop der Koch, die beiden Steuerleute und der Kapitän. Also: vorn 18, mittschiffs 2, achtern 4 Mann,total 24 Mann Besatzung.
Ende April 1911 wurden der Segelmacher Singel, der Leichtmtr Robert und ein Schiffsjunge in Bremerhaven gemustert. Wir reisten ohne Zwischenfälle nach Barry Dock und kamen dort an einem Sonntagvormittag an. In den Docks lagen mehrere Raasegler. “Dort, der Grüne, das muß die ‘Renée’ sein.” Als wir mit unserem Gepäck längsseits des Schiffes kamen, stand oben an der Reeling, auf der Nagelbank ein Mann, der uns freundlich zunickte. Schon die allererste Begegnung mit diesem Menschen war außergewöhnlich positiv. Ein braun gebranntes, offenes, fröhliches Gesicht, helle leuchtende Augen; er warf uns ein Tauende zu und sagte: “Steck an”! So holte dieser Mann 3 Seekisten, 3 Zeugsäcke und 3 Strohsäcke an Bord für seine Kameraden. Dieser Mann war der Matrose WILHELM FRANKE, gebürtig aus Erfurt, der Held dieses Erlebnisberichtes. Am 5. Mai 1911 hatten wir den Ladehafen Barry Dock verlassen, und ohne besondere Schwierigkeiten überquerte das Schiff am 10. Juli 1911 den 50. Grad südlicher Breite im Atlantik, es war somit “an Kap Horn”!! Mit steifem Nordwest-Wind segelte das Schiff schlank durch die Straße von Le Maire, erreichte rasch die Breite von Diego Ramierez und dann, ja dann …. Gerade, weil die kommenden Tage so außergewöhnlich hart waren, haben sich die Geschehnisse dem Lchtmtr Robert eingeprägt wie gemeißelt.
Robert kann manchen Namen nach 60 Jahren nicht mehr genau wiedergeben, doch verbürgt er sich für wahrheitsgetreue Erzählung der Erlebnisse, wie er sie erfuhr. Natürlich, jedes Schiff wird in Farbe gehalten, jede Kost bedarf der Würze, so auch jede Erzählung eines gewissen Zufeilens. “Und warum, Robert, hast du 60 Jahre lang geschwiegcn, gezögert diese interessanten Erlebnisse an Bord der “Renée Rickmers” niederzuschreiben? Warum tust du es jetzt?“ Ja, mit dem Herzblut mitten im Leben stehend, sieht man jetzt, daß alle Werte, die uns früher etwas galten, als wertlos in die Schrimpskiste geworfen werden. Bestimmt kommt noch einmal die Zeit, in der die Menschen Rückschau halten nach Schiffsbesatzungen, die ihr Letztes einsetzten für ihr Schiff! Und dann Kameraden, wir, die wir vor dem 1. Weltkrieg Kap Horn umsegelten, sind alle über 70. Die unsichtbare Musikkapelle des Jenseits, die jedem Kap-Horn-Fahrer bei seinem Abruf das letzte Rolling-Home-Lied spielt, kommt aus dem Abstimmen ihrer Instrumente gar nicht mehr heraus. Heute wird sie hierhin, morgen dorthin gerufen. Der Lchtmtr Robert will alles fein aufgeklart haben, was jetzt noch sein Anliegen ist, ehe auch ihm der erste Ton des Rolling-Home-Liedes ertönt. Und dann Kameraden, sicher wird die Zeit erst noch kommen, in der man den eigentlichen Wert der großen Ozean-Segelschiffahrt erkennen wird. Auf diesen kommenden Erkenntnissen wird man neue kulturelle Gesetze bauen. Man wird den Heroen vergangener Segelschiffahrt Denkmale setzen. Wenn das geschieht, soll man nicht nur Admiräle und Kapitäne, wie Karpfanger, Behnke, Nettelbeck, Hilgendorf, Petersen u.a. würdigen, sondern auch des besten einer gedenken…..
Der Lchtmtr. Robert läßt in dieser Stunde all die Segelschiffsbesatzungen an seinem geistigen Auge vorüber gleiten, um den Besten herauszufinden. Wer von den vielen Hundert tüchtigen Seeleuten ragt hervor an Mut, Kraft, Treue, Seemannschaft und all den großen Eigenschaften, die auf Seglern leben? Ist’s auf “ELISABETH” der Bootsmann Albrecht? Ist’s auf “EITEL FRIEDRICH” der N.O. Fredersdorff? Ist’s auf “GEYSIR” der schweidsche Matrose Güstav, der immer vorweg war? Ragt auf “EDMUND”, “ELSE”, “HELGOLAND”, “ALLOTAR”, “PRIWALL”, auf “PASSAT” sein Kamerad Clausen auf “PAMIR”. “PADUA” einer hervor, dem man den Lorbeer: “Du warst der Beste” überreichen könnte? Da ist Emil Groß, Anton Paulsen und viele andere ausgezeichnete Seeleute, würdig für höchste Ehren! Doch allen fehlt im Blickfeld des Lchtmtr Robert die aufleuchtende Tat, kommend aus einer schier magisch inneren Kraft, die heute nach 60 Jahren dem Lchtmtr Robert von einem Matrosen der “RENÈE RICKMERS” in Erinnerung ist, als sei sie kürzlich geschehen.
Auch hat der Lchtmtr Robert mit der Beschreibung der Heldentag des Matrosen Wilhelm Franke zurückgehalten. Denn als des Matrosen Willems Stern aufleuchtete unter der Besatzung in jener Stunde, sackte der Robert ab bis zur totalen Null.
Ich war nicht derjenige, der den Schiffsjungen Franz rettete, sondern Willem, der Matrose. Meine körperlichen Kräfte in der Stunde höchsten Anrufs waren nicht mehr vorhanden. Es wird Zeit, dafür zu sorgen, daß des besten Matrosen in seiner Art, dem Matrosen Wilhelm Franken ein Denkmal gesetzt wird in den Herzen derjenigen Menschen, die heroisches Leben noch schätzen, die einen Segelschiffsmatrosen achten, der in nichts und nirgens zu keiner Zeit und an keinem Ort, in keiner Art und in keiner Weise je unterlegen war, sondern stets und ständig “auf der Höhe”! sich befand, leuchtend in schwersten Tagen an Kap Horn; dieser Tatsachenbericht wird es beweisen. Solchem Auserlesenen geben die Waltenden auch Gelegenheit zur auffallenden Tat. Viel helle Mär weiß der Robert von jenem Willem von jener Reise zu berichten, die in einer anderen Sphäre um den Mann in einer Lichtsphäre nur zu suchen sind. Viele, viele Wesen kommen und gehen im Leben eines Menschen – und sind vergessen. Doch mit welch starkem Leben der Matrose Willem sich in das Gedächtnis des Lchtmtr Robert eingemeißelt hat, hier ist das Prädikat auch heute noch treffend: es ist das Leben eines Helden!
Vom 50. Breitengrad Atlantik, bis zur Breite von Diego Ramierez sind es etwa 400 sml. Diese Strecke hatte der Segler ohne Schwierigkeiten zurückgelegt. In den darauffolgenden Tagen aber wurde er von einem schweren Sturm nach dem anderen befallen. – Der Lchtmtr Robert, der den Schwerpunkt seines Lebens später selber nach Kap Horn verlegte, mit 35 Umsegelungen, 15 davon als Schiffsführer und somit sachverständig in jenem “SPORT” geworden ist, will Carl Dau, den Kapitän der “Renée” in keiner Weise kritisieren, dazu war er 1911 nicht imstande. Auch hat niemand die Autorität des Kapitäns anzutasten gewagt; im Gegenteil, je schwerer die Strapazen waren, die dem gesamten Schiff auferlegt wurden, desto stabiler ging die Person des untadeligen Kapitänes hervor.
Also müssen, wie gar manches Schiff es dort erlebte, die Wetterlage einfach barbarisch hart gewesen sein. Muß ein Kapitän, die volle Härte, die Kap Horn auszuspielen vermag, mit seinem Herzen tragen, so werden der Mannschaft körperliche Strapazen auferlegt, die unbeschreiblich sind. Die “Renée” hat in den 64 Tagen von 50 bis 50 wohl an die 30 Sturmnächte erlebt und mehr, die alle ähnlich verliefen. Diese kann Robert nicht mehr auseinander halten. Alle waren sie in ihrem Ablauf ähnlich und alle nahmen an Härte zu, weil die Körper und die Kleidung dem Verschleiß unterworfen sind. Wenn hiermit eine von den Sturmnächten und dem Ablauf der Manöver beschrieben wird, so ist das gleichlautend für alle Stürme.
Die erste Manövernacht setzte mit voller Wucht und voller Härte ein. Nacht war es an Kap Horn; es war etwa der 12. Juli 1911. Man ging englische Wache. Um 20 Uhr damals schrieb man 8 Uhr p.m., beide Wachen sind an Deck, der 1. Steuermann Herr Focke brüllt beim Wachwechsel “Krüz Bobenmarsseil dooll” Er selbst bedient das Fall. Der zweite Steuermann teilt die Leute ein, Dumper und Gerdings werden geholt. Bei Windstärke 9 ein Segel dichtgeien, sodaß es gut festgemacht werden kann, ist schon schwer. Pechschwarz war die erste Nacht. Nur die sich antürmenden Wellenkämme sieht man, doch sie haben keine Leuchtkraft. Brecher kommen über, erfaßt die Leute, wäscht sie über Deck, schleudert sie gegen Spieren, Lucken, Nagelbänke, blaue, schmerzende Stellen bekommen die Leute an ihren Gliedmaßen, die Seestiefel sind schon voll Wasser. An den Knien, zwischen den Beinen, am Hals, die Ärmel hoch bis zum Ellenbogen, sind die Kleider schon naß. Wasser, Brecher, Sturzseen das Schiff hat nur ein Freibord von 5’10’ und macht noch Fahrt voraus, d.h., da ist Kraft hinter den überkommenden Seen.
Wenn kein Gording und kein Dumper mehr etwas gibt, werden die Leute nach oben geschickt: “Go ropp un mock fast dat Seill” Wenn schon dann erst die eigentlichen Kraftanstrengungen anfangen, dem Sturm, der immer zunimmt, die Segel zu entreißen, so war es doch eine Erleichterung, aus den Wassermassen an Deck enthoben zu sein. Auf der Raas hatten die stärksten Matrosen dann das Sagen. Willem Franke mit seiner durchdringenden, rauhen Stimme war immer da, wo ein Bauch des Segels zwischen den Gordings am steifsten war. Mit den Fäusten schlug man hinein im Rhythmus,bis man eine Brock fassen konnte. Brock um Brock wurde dann, wenn man sie halten konnte, untern Leib geschoben, bis ein Leichtmatrose mit dem Zeising von unter der Raa her dem von oben greifenden Matrosen den Törn zulangte. Bauch um Bauch, Nock um Nock, Raa um Raa.So wurden die Segel unter tatsächlich unbeschreiblichen Anstrengungen nach und nach festgemacht. Erst die Mitte, dann die Luvseite, dann die Leeseite der Raa. Nach dem Kreuzobermarssegel kam das Vorobermarssegel, dann das Großobermarssegel. Stunde um Stunde verging.
Wie oft ist es vorgekommen, daß auf der Raa der zum Teil geborgene Bauch eines Segels in einer harten Böe den Fäusten der Matrosen entrissen wurde. Diese Kraft des Sturmes riß dann den Matrosen die Fingernägel ab, riß die Haut von den Knöcheln der Finger. Handschuhe konnte man nicht gebrauchen; der Sicherheit des Griffes wegen, in der Takelage waren sie auch unzweckmäßig. Es kamen Schnee und Hagelböen, die die Hände eisig machten, die dem Sturm zugekehrte Gesichtshälfte durch Eisnadeln zerstach.
Wenn dann das letzte Obermarssegel fest war, die Menschen schon ziemlich erschöpft, hieß es “Gei up de Fock!” Dann war Mitternacht und Wachwechsel schon längst vorbei. Es gab keine Pause, keine Rast, keine Zeit für eine Stärkung. Der Lchtmtr Robert hat manchmal die beiden Steuerleute bewundert, immer waren sie führend an Deck. Einer der beiden fierte den Fockhals und dann wurde Pull um Pull, Hol um Hol die Fock, ein großes, schweres Segel, immer naß und steif dichtgegeit. Ich glaube, es ist nie einem Menschen der Gedanke gekommen: Könnt Ihr noch? – Kap Horn verlangte es, und das Segelschiff gehorchte, eine ganz einfache, stahlharte Philosophie. Es ist jene Reise vorgekommen, daß die Matrosen beider Wachen 3 bis 3-1/2 Stunden allein auf der Fockraa gelegen haben, um das Segel zu bergen – und haben die Fock doch festbekommen. Wenn dann die Leute von oben kamen, das Fockwant Webeleine bei Webeleine abwärts, der ganze Körper vom Wasser erkaltet, vom Sturm durchblasen, so daß der Mann kaum noch denken konnte, wenn dann die Leute bihoop waren, kam das Kommando “halsen”. Das war das allerschwerste. Dann waren 8 Glasen, 4 Uhr morgens, zum zweiten, oder gar dritten mal Wachwechsel, von dem kein Matrose Notiz nahm, meist schon vorbei. Dann wurden die Leute an den Luv Kreuz- und Luv Großbrassen verteilt. Das Schiff fiel ab, nahm Fahrt auf, in lee fierten die Steuerleute die Brassen, achtgeben!! achtgeben, daß die langen Tauenden nicht in den Lenzporten beschädigt werden, sie wurden meistens von den Jungens zugereept. Das Schiff lag vor Untermarssegel, kam schnell auf 10 kn Fahrt und mehr vor dem Winde.
“Woahr di, Seemann!!”, wenn dann die Seen von achtern überrellten. Wenn Groß-und Kreuzraaen vierkant gebrasst waren, ging man mit allemann an die Fockbrassen, dann wurde der Vortop rumgebrasst. Dann, zu luvat fierten die Steuerleute die Luvbrassen, wurden Kreuz-und Großraaen scharf angebrasst: “allhands achterutl” auf die Poop in Sicherheit, dann luvte das Schiff an, schwerste Brecher kamen über Deck, bis das Schiff endlich Fahrt verlor und über dem andern Hals beigedreht lag, den Sturm abwetternd.
Es ist nicht möglich, solch eine Nacht, die ohne Pause und Erholung sich von 19 oder 20 Uhr unter allerschwersten Strapazen hinzog, in eiskaltem Seewasser, durchnäßt bis auf die Haut, halb erfroren in der Takelage beim Festmachen von oft 4 Raasegeln, ausgepowert, zerschunden und entkräftet, in Ausführlichkeit zu beschreiben. Das alles hat diese brave, tapfere Besatzung in 64 Seetagen an Kap Horn ohne Murren getragen. Doch wie sah die Mannschaft dann aus, wenn nach 8 oder auch 10 Stunden Herr Focke rief: “Verfang Roer un Utkiek, Wach zur Koje“ Die Leute hörten das nie. Mehr Kraft war einfach nicht da. Was kam da von Deck zur Koje? Das waren keine Matrosen mehr, das waren Haufen Elend, die da, die Schlingerbewegungen des Schiffes gar nicht gerechnet, zur Logistür hereinwankten. Unfähig überhaupt noch zu denken- nur schlafen, schlafen, das war das Bestreben, welches uns beherrschte, wir waren entkräftet bis zum Umfallen. Da sprach kein Schluck Wasser mehr an, da interessierte kein Stück Brot mehr. Schlafen, schlafen, die 2 oder 3 Stunden bis 7h20, bis ein Mann der Steuerbordwache kommt zu purren. – Wenn immer der Lechtmtr Robert an jene Reise gedacht hat, so mußte er sich sagen: Nicht Carl Dau hat dieses Schiff um Kap Horn gebracht, sondern eine Zieharmonika! Denn dieses Schiff hatte einen Helden an Bord, den Matrose Wilhelm Franke. Es ist zur Genüge beschrieben, wie wir alle hereinwankten ins Logis, nur mit einem Gedanken: an die Koje!
Der Robert war nicht der erste, aber auch nicht der letzte, der vollkommen aufgerieben von Deck kam. Und meint Ihr, Robert, der immer am entkleiden, d.h. an Zeug und Strümpfe auswringen war, wenn Willem von Deck kam, hätte je an diesem Mann ein Zeichen von Erschöpfung gesehen? Bis auf eine Nacht, von der später geschrieben werden soll, kam dieser Willem herein wie immer, Kopf im Nacken, die Augen blank und stark, keine Spur von Erschöpfung, trotzdem er doch immer und überall in der Vorhand war. Und was geschah? Das erste was Willem tat, er griff nach dem Kopfende seines Kojenbordje, steckte sich die Pfeife an, dann nahm er die Ziehharmonika vom Bordje, setzte sich auf das vordere Ende der Back, hob ein Bein und das Wasser schoß aus seinem Stiefel, hob das andere Bein, und auch der Stiefel war entleert von Seewasser.
Und dann geschah ein Wunder: Bis auf eine, aber auch nach jeder durchkämpften Sturmnacht, so daß der Robert überzeugt ist, daß weder Mozart noch Beethoven, weder Wagner noch Furtwängler die tiefste Tiefe, die in der Musik liegende Kraft erfahren haben.
Dieses Erlebnis blieb einzig und allein den Besatzungen derjenigen Segler beschert, die die härtesten Strapazen an Kap Horn zu bestehen hatten und einen Mann an Bord hatten mit einer lichtmagischen Seele wie dieser Matrose Willem Franke. Denn, noch ehe einer der vollkommen erschöpften Leute eingeschlafen war, zog Willem auf der Harmonika den ersten Akkord, dann noch einen und noch einen. Dicke Tabakswolken qualmten dabei aus seinem Munde. Dann kam der erste Gassenhauer (nur solche Melodien), u.a.“Was nützet dem Seemann sein Geld, wenn er doch ins Wasser fällt” oder “Flanigain, Flanigain, take me to the Isle of Man again” oder “Den Bergenske Pige med Oigne so blou, den akte so noige whor Sömanen go” So spielte dieser eiserne Matrose, als ob gar nichts passiert sei einige Minuten in aller Frische. Robert, bezeugt hiermit, daß das folgende Erlebnis jedesmal eintrat: Einer von uns richtete sich auf in der Koje, dann der andere, dann der dritte, mit fröhlichen Gesicht, mit einem Scherz auf den Lippen, mit Frohsinn und Harmonie im Gebahren. Die Raucher waren, griffen nach der Pfeife und Hans Dräger sagte dann immer: “Was tut in diesem Fall ein Mann, er steckt sich seine Pfeife an und zieht die bläulichen Gase, mit wahrem Hochgenuß durch seine Nase”. Kein Ton einer schmutzigen Zote. Nach 10 Minuten solcher musikalischen Stärkung aus der Harmonika gespielt, von Willem Franke, war die Wache wie gewandelt, durch die Kraft und Macht der Töne, entlockt einem Instrument, waren alle neun Mann mehr und besser gestärkt, als von einem 10gängigen Diner. Alle Strapazen waren in einer Viertelstunde vergessen, alle Knochen wieder beweglich. Alle Härte war gewandelt in Wohlsein. Man lachte, glossierte die Strapazen, geheilt war die BB-Wache von Außen und von Innen. Ein Wunder war geschehen.
Viel länger als 15 Minuten hat Willem auch nicht gespielt. Dann feudelte auch er seine Stiefel aus, wrang die Strümpfe, zog sich die Schäfte über die Füße, klopfte die Pfeife aus und wenn er dann die Logislampe, Petroleum in kardanischer Aufhängung, herunter geschraubt hatte, dauerte es keine 3 Minuten und die Wache lag in tiefstem, erquickenden, stärkenden Schlaf.
Die Frage ist: Woher kamen die Kräfte, die solche Wunderwirkungen auslösten?
1. Fall, waren es nur die Töne eines Musikinstrumentes, die alle Leute derartig beeindruckten? Sehr fraglich, denn die Wandlung war bei jedem von totaler Erschöpfung zu gehobener Stimmung (Alkohol gab‘s nachts nicht).
2. Fall, draußen wehte immer ein schwerer Sturm, man hatte die Nacht durch das Brüllen entfesselter Natur erlebt und diese Töne dann im Logis, entlockt einer Harmonika brachten die Seelen in eine andere, schönere, wohlige Scheinsphäre. Möglich, doch die durchschlagende Wirkung bei jedem von uns war frappierend und mußte tiefere Ursachen haben. 3. Fall, es war der Willem Franke der da spielte und dieser seelenstärkste aller Seeleute, die Robert in den 50 Jahren seiner Seefahrtzeit erlebt hat, hat seine Seelenkraft auf die Töne moduliert, die er seinem Instrument entzauberte und so seinen Kameraden übertragen. Das ist sehr leicht möglich, daß dies die Ursache der Wunderwirkung war.
4. Fall, Die “Renée Rickmers” war kein Schiff, welches in allem den Winter Kap-Horn-Stürmen trotzen konnte. Solche Schiffe segeln an der Kante des Verderbens, sind preisgegeben den erbarmungslosen Angriffen geheimer Naturkräfte. Solche Schiffe werden, der Bipolarität allen Seins entsprechend, umgeben und geleitet von desto stärkeren Líchtwesen. Diese freuen sich wohnen zu können in starken Herzen-und diese waren es, die den stärksten aller Matrosen als Medium benutzten, um sich so wunderbar wohltuend an allen und in allem zu äußern.
Bei abnehmendem Sturm wurden die Obermarssegel gesetzt. Eine Jolle wurde lang ausgeholt, auf das Fall gesteckt und nach einem der Gangspills genommen.
Noch rollte das Schiff, noch kam viel Wasser über, doch die Handspaken drehten die Gangspill.
Die Matrosen fingen an Shanties zu singen, langsam wand sich die Raa empor. Und wer sang am ersten, am lautesten und riß alle mit? Der Matrose Willem, nichtachtend aller Unbilden, denen das Schiff noch zur Genüge ausgesetzt war. So hatte das Schiff da unten gekämpft die ersten 10 Tage an Kap Horn, ohne auch nur eine einzige Wache der Erholung.
Noch gab Carl Dau nicht auf, noch hoffte er auf Wetteränderung. Doch nachdem in der Nacht vom 23. zum 24. Juli die noch brauchbaren Marssegel wegflogen oder beschädigt wurden, entschloß er sich Port Stanley als Nothafen anzulaufen. Es war bei Wachwechsel mittags um 12 Uhr am 24.7.1911, es wehte orkanartig, da ließ er beide Wachen auf die Poop kommen und sagte: “Wir müssen den Innenklüver setzen und abhalten, wir wollen nach Port Stanley. Wir stehen noch 12 Meilen von den Rocksen, also Leute, strengt euch anl” Der lnnenklüver wurde gesetzt, ohne beschädigt zu werden. Das war ein Meisterstück des ersten Steuermann Herr Focke, der eine Minderung im Seegang abwartete, das Fall in einen Fußkock gelegt hatte, paar Mann holten die Schrot auf der Back, die anderen liefen das Fall auf, bis es belegt werden konnte. Das Strecken machte dann die Dördehand. Der Robert hielt eifrig Ausschau, ob irgendwo ein Felsen zu sehen sei, doch fand er diese Annahme nicht bestätigt. Das Schiff fiel ab vor den Wind und segelte noch eine Woche, ehe es am l. August l9ll gegen mittag Port Stanley erreichte. Also muß die gute “Renée” schon recht weit westlich gestanden haben.
Auf dem Wege nach Port Stanley ereignete sich folgendes: Am 30. Juli auf Morgenwache schralte der Wind nach NW und nahm gewaltig zu. Beide Wachen machten die Reste der Obermarssegel und die Fock fest, was bei den total entkräfteten Leuten, die keinen trocknen Faden mehr auf dem Leibe hatten, sehr lange dauerte. Dann wurde über Backbord Halsen beigedreht.
Der Sturm hatte orkanartige Stärke 11 angenommen. Während die Matrosen auf dem Achterdeck nach dem Manöver und auf der Poop noch Brassen, Topnanten, Halsen und Schoten durchhalten, wurde Robert und der Junge Franz beigeschickt, die Lee-Fockbrassen und das Tauwerk der Nagelbank im Lee-Großwant aufzuklaren.
Beide gingen wir die Laufbrücke nach vorn, an StB von der Back die Treppe runter. Der Junge Franz ging wie befohlen das Tauwerk aus dem Lee-Rinnstein zu klaren. Doch der Lchtmtr Robert hielt sich an Deck stehend, am Treppengeländer fest und kam nicht weiter. Der Robert war weder feige noch schwächlich. Hier aber war er absolut am Ende seiner Kraft. Seit mehr als einer Woche keinen warmen Biesen mehr im Leib. Seit 3 Wochen Strapazen über alle Maßen bei Tag und bei Nacht. Stundenlang auf einer Raa, um ein Segel zu bergen. Kein trocknen Zeug mehr über den Gliedern und das Seewasser war nur +3 bis 0 Grad, die Luft etwa 6 bis 7. Nirgends Trockenheit, nirgends Wärme. 12 Satz Unterzeug hatte er gehabt, alles naß und verspakt unter die Koje gepfeffert. Die Koje war klamm, das Ölzeug, schon 2 Jahre alt, total zerrissen, nur mit Bootsmannsnähten zusammengehalten. So stand er da, hielt sich an der Treppe fest, unfähig sich zu rühren, sein Körper ein Wrack. Augen aber hatte der 16jährige Jüngling noch im Kopf, zum Denken und Beobachten reichte seine Kraft aus. Bei einem Versager sucht jeder Mensch nach einer Ausrede. War es vielleicht so gewollt, damit der Lchtmtr Robert, wenn schon, doch immerhin nach 60 Jahren aufschreibt, was sonst verloren gegangen wäre? Denn was ist da? Eine furchtbare See bricht über das ganze Deck.
Das Schiff befindet sich nicht in dem langen, hohen Seegang wie westlich vom Kap, sondern der Sturm kommt schon über Land her, die See ist steil, kurz, bei 11 Windstärken hoch und wild. Hunderte von Tonnen Wasser füllen das Oberdeck. Die Gischt nimmt sekundenlang total die Sicht.
Da…, dem Robert stockt der Atem, ihm schlägt das Herz bis in die Halsschlagader. Der Lchtmtr Robert will schreien, aber seine Starre hindert ihn daran. Die Faust, die das Treppengeländer umkrallt, zerdrückt es fast. Was ist geschehen? Dieser entsetzliche Brecher in dem tobenden lnferno des orkanartigen Sturmes hatte die beiden hinteren Laschings der Spier, einer Reserve-Mars-Stange gebrochen und das dicke Ende derselben schlug jetzt mit furchtbarer Gewalt gegen die Steuerbord Verschanzung des Schiffes etwa da, so sein guter Freund, der kleine Franz, die Lee-Fockbrassen klaren sollte. Wo ist mein Franz, mein kleiner Franz? Mein Gott, der Robert will schreien, ihm würgts durch die Kehle. Was er aber auch von sich gegeben hat als Hilferuf, der Sturm schleuderts fort ins Nichts. Der kleine Franz ringt mit dem Tode. Nicht er ist Herr des treibenden Tauwerks geworden. sondern die unbarmherzigen Wassermassen in Gemeinschaft mit dem unk1ßren,treibenden langen Tauwerk haben den kleinen Franz überwunden, halten ihn gefangen im Lee-Rinnstein, gerade dort, wo die Spíer blindwütend Tod und Bruch durch diese furchtbaren Stöße mit den Schlingerbewegungen des Schiffes austeilt. 13 Sekunden ist eine Periode. In 13 Sekunden einmal Backbord, einmal Steuerbord. Die Rollbewegungen sind nicht gleich. Vom mäßigen Rollen bis zu Ausschlägen von 30 und 40 Grad bei diesem Wetter. Wenn sich der kleine Franz nicht in ganz kurzer Zeit vom Tauwerk entwirft muß ihn die Spier in ein oder zwei Perioden zerschmettern. Der Robert fühlt die Todesangst für seinen Freund Franz, ob er ein Stoßgebet zum Himmel sandte, weiß er heute nicht mehr. Doch da, da kommen die Matrosen die Laufbrücke entlang. Wassermassen sind abgeflossen, die Spier treibt in diesen wenigen Sekunden relativ harmlos zwischen Verschanzung und Großmittschiffsnagelbank, weil auch die Wellenbewegungen sich zeitweise mäßigen müssen, weil ungleich die entfesselte Natur. Da, in diesem Augenblick springt ein Mann von der Laufbrücke auf die Spíer, dort, wo der Junge Franz dem Verderben hilflos überlassen ist. Und was sieht da der Lchtmtr Robert? Ein blitzendes Messer in der Hand des Matrosen; ritsch-ratsch, mit 2 oder 3 scharfen, kräftigen Schnitten hat der Mann den Jungen Franz, der im Wasser versunken war, um Hals und Oberkörper vom Tauwerk befreit. Jetzt hat er ihn zu fassen. Wieder kommt ein schwerer Brecher über.
Der Lchtmtr Robert hat sich geschämt von jenem Augenblick an, als er sich sagen mußte, den kleinen Franz hättest du doch retten sollen. Hiermit hat er dem tapferen Matrosen Wilhelm Franke ein Denkmal gebaut, würdig in die Seefahrergeschichte einzugehen. Und warum ist dieser Vorfall so ganz außergewöhnlich hervorragend? Weil hier das Leben des Jungen Franz von ein oder zwei Sekunden – und nicht mehr – abhing. Für diese kleinste Spanne Zeit war gerade der Matrose Wilhelm ausgesucht,weil dieser Mann, der rauhe Seemannschaft nahezu in Vollkommenheit übte, die hier lebensentscheidend war, indem er ein haarschafes Scheidemesser trug, in Blitzesschnelle jederzeit griffbereit über dem Ölzeug geschnallt. Wäre dem nicht genau so gewesen, der Robert würde jetzt vielleicht diesen Bericht schreiben, betitelt: Armer, kleiner, lieber, tapferer Franz…… Als diese Periode ausklang, trug der unüberwindliche Matrose Willem den total erschöpften, halb ertrunkenen, halb erstarrten Jungen Franz nach vorn. Dicht neben Robert, vor der StB-Logistür stellte er Franz auf die Beine. lm Toben des Sturmes hörte Robert den Willem noch etwas sagen so ähnlich wie “Tröge Plünnen”….In diesem Augenblick kam wieder ein schwerer Brecher über, der auch die letzte und vorderste Lasching der Spier brach. Nun trieb dieses Ungeheuer, etwa 70 Fuß lang, am hinteren Ende etwa 2 Fuß im Quadrat, ca. 6 Tonnen schwer, frei an Steuerbordseite der Gewalt der Wassermassenüberlassen, entsetzliche Stöße nach beiden Seiten austeilend frei umher. Da hatte Willem den Franz losgelassen und beim Wenden nach achtern, nur einen Schritt von Robert entfernt, drehte er sich dem voll zu und mit seiner rauhen Stimme brüllte er, den Sturm übertönend: “Komm Robert, Spier laschen.” Unter der Wucht dieses Mannes begann die totale Erschöpfung des Lchtmtr Robert augenblicklich zu schwinden und dem Robert ist der Blick dieses Matrosen in der Seele haften geblieben bis heute. Das war kein Strahl aus seinen Augen, sondern ein Fächer oder ein Bündel von Kraft und Mut, von Kampfeswille und unbeugsamer Härte. Diese Augen in dem braungebrannten Gesicht, hell wie die Sterne am Nachthimmel, über einer großen, schmalen, kühnen Nase, diese Augen, dieser Blick, gibt nicht auf, können nicht unterliegen. Diese Seele ist für Kampf und Sieg, für schwerste Strapazen und Helfer für seine Kameraden geboren. So hat die Besatzung der “Renée Rickmers” den Wilhelm Franke erlebt, das sah Robert in diesem Augenblick. Dann gingen sie beide mit ihren Kameraden die entfesselte Urkraft der Spier zu bändigen. Noch einige male schlug sie gegen die Verschanzung.
Noch ehe die Spier gebändigt war, als 20 Mann der „Renée“ ihr Letztes einsetzten, um das Schiff von Tod und Untergang zu retten, da war das, was sich da an Deck abspielte, in der Tat “Ein Anblick für Götter”!! Und die gegenwärtigen Hohen Wesen stellten Vergleiche an: Mögen die buddhistischen Mönche unter den Palmen Ceylons durch Besinnung, der Schau nach Innen, durch lobsamen Wandel ein der Gottheit wohlgefälliges Leben führen. Mögen die Nonnen im Kloster von Kap Vincent in den Kapellen betend fromme Lieder singen und durch die Gardinen spähend vorbeifahrenden Schiffen glückliche Reise wünschend, ein der Gottheit noch wohlgefälligeres Leben führen, doch wahrlich ich sage Euch, die Besatzung der “Renée Rickmers”, wie sie da an jenem Vormittag dem 30. Juli 1911 für ihr Schiff kämpfte, führte ein, der Hohen Gottheit weitaus wohlgefälligeres Leben! Denn während jene in absolut geistig – seelisch -körperlicher Geborgenheit leben, war diese Schiffsbesatzung dem Tode in greifbarer Nähe preisgegeben, ohne auch nur im Geringsten diesen Zustand in sich aufkommen zu lassen. Ja, habt Ihr auch einmal an das Sein auf dieser Erde gedacht, an gut und böse, Leben und Tod, hell und dunkel und die unendlich vielen Bipolaritäten des Daseins?
Der Kampf gegen das Ungeheuer war beendet. Alles Tauwerk ist aufgeklart. Das Schiff liegt beigedreht und wettert den Sturm ab. Die BB-Wache geht mittags zur Koje, kaut noch ein Stück Speck, ein Stück Biskuit, trinkt einen Schluck eiskaltes Wasser, dann zur Koje- zur Koje. Der warme Pulsschlag in den jungen Körpern unter 3 Wolldecken überwindet in 3 ½ Stunden Schlaf die Kälte und Nässe des Unterzeugs, mit dem sie zur Koje gingen. Als dann beim Wacken die Decken zurückgeschlagen werden, sind Beine und Füße in derartige Dampfwolken eingehüllt und werden durch die kalte Außenluft derartig dicht, daß die Strümpfe, die die Füße bedecken, im Dampfe nicht mehr zu sehen sind.
Im Kajütsgang ist ein Peilrohr, dort hängt in Schlechtwetterzonen auch der Peilstock. Die Außentür ist dann verrammelt. An jenem Nachmittag ist der Peilstock unzählige male gebraucht worden, bis der Kapitän Carl Dau am Abend, als es handiger wurde mit Überzeugung und ruhigem Schriftzug in das Schiffstagebuch einschreiben konnte: “Bilgen lenz”! In der Nacht zum 31. Juli wurde noch an Segelfläche gesetzt was noch ziehen konnte. Östlich der lnsel lief das Schiff in ruhiges Wasser. Sofort bekam die “Renee ” ein ganz anderes Gesicht. Am anderen Tag wurde aus dem Zimmerhock die dort verstaute Feldschmiede an Deck geholt. Die Junggrade rissen sich drum, den Pickkrabben (Pechkessel) säuberlichst auszuklopfen und mit Sand und Segeltuch blitzblank auszuscheuern. Wer noch sich bewegen konnte, war da, holte Kohlen, schleiste Holz, trat den Blasebalg — und dann, es war im Laufe des frühen Nachmittags, kochte die Erbswurstsuppe. Das gab Laune! Der Zimmermann sagte lachend zu dem, der nichtachtend des Kohlenqualms am eifrigsten geschürt hatte: “Der Trommler war ein Moor”.Noch nie hat die Gegend von Kap Horn und die über uns schwebenden Albatrosse eine Schiffsmannschaft derartig einmütig auf der Großlucke sitzen sehen, wie sie mit unbeschreiblicher Wonne diese heiße Suppe hinunterlöffelte, von der auch in genügender Menge vorhanden war. Ein steiler Schritt zur Erholung und Besserung der Stimmung vollzog sich an diesem Nachmittag. Finster war die letzte Nacht auf See vor dem Nothafen mit unbeständigen, mäßigen Wind und heftigen Schneeschauern.
Das Gerücht ging später um, Carl Dau habe am Ende der Reise deswegen sein Schiff abgeben müssen. Bestätigt wurde das nie. Der Lchtmtr Robert ist schon damals mit der Geschwätzigkeit seines Kameraden Willem nicht einverstanden gewesen und dieser ganze unschöne Vorfall hat ihn gelehrt “Robert, Robert, übe Schweigen, Schweigen, edles Schweigen!” Ohne Anstrengung steuerte “Renée Rickmers” vormittag am l. August 1911 die Einfahrt von Port Stanley an der Nordostküste der Falkland-Inseln an. Ein nicht gerade kleiner Schlepper brachte den Lotsen längsseits. Die Leichtmatrosen Robert und Hans warfen die Lotsenleiter über die Reeling. An Bord kam ein kleiner, hagerer uniformierter Mann mit blonder Bürste an der Überlippe. Sein erstes Wort war: “Any death on bord?” “No Pilot” antwortete Carl Dau, der Kapitän. Dann erst grüßte der Lotse “Good morning Captain”.
Im Hafen lagen noch einige Segler u.a. die “NAL”, eine finnische 4-Mast-Bark. Da hatte sich dieses unvergeßliche Ereignis zugetragen: Die Nal hatte an Kap Horn die Royales aufgegeit. Als ein Schiffsjunge auf der Raa war, das Segel festzumachen, setzte eine orkanartige Böe ein, die das Rack von der Kreuzuntermarsraa brach und den Jungen von der Raa warf.
Drei Wochen nach Port Stanley lag “Renée” irgendwo südwestlich von Kap Horn in der Periode Sturm-Gegenwinde. Da kam die unvergeßliche Nacht vom 15. zum 16. Oktober 1911. Und haben die Seeleute dieser Reise noch viele, viele Sturmnächte in ihren Leben erlebt, eine schwerere erlebte keiner.
Als der Tag am 17. Oktober graute, kam wieder Leben in die BB-Wache als man merkte daß die Vor-Untermars-Brass gebrochen war. Eine Jolle wurde aus dem Kabelgatt geholt. Die noch schlagenden Reste des Vor-Untermarssegels waren zwar nicht ungefährlich, doch die Matrosen Willem und Louis legten auf der Obermarsraa aus, gingen dort von der Nock zur Untermarsraanock um die Jolle anzustecken und so Halt in die Raas zu bekommen. Bei dem Blick nach oben gegen den schon hellen Himmel gewahrte Herr Focke, daß die Vorbramstange wackelte. Eilenden Schrittes meldete er das dem Kapitän. Es dauerte nicht lange, da gingen beide Männer in die Vorbramsaling, der Ursache auf den Grund zu gehen. Zimmermann Götsch wurde geweckt, es dauerte nicht lange, da enterte er, Herr Focke und Willem mit Kreefsäcken und sonstigem Geschirr in die Bramsaling. Es fielen Spähne, man hörte Axt- und Hammerschläge und der Robert kann sich nicht entsinnen, daß die Vorbramstenge noch einmal gewagt hätte, eigensinnige Bewegungen zu unternehmen. …
Wochenlang ging das barbarische Ringen um Kap Horn weiter. Schonungslos wurde die Freiwache an Deck geholt, wenn es die Wetterlage erforderte. Kap-Hornfieber unter der Mannschaft brach aus.
Es war Anfang November 1911. Seit länger als 5 Wochen ab Port Stanley war das Schiff umgeben von Härte, Strapazen und Gefahren. Da kam endlich die von jedem Schiffsführer da unten ersehnte Wetteränderung, der raumende Ausschießer von Süd-West. Es geschah auf einer Morgenwache. Nachts hatte es noch hart geweht. Jetzt lag das Schiff über BB-Halsen. Der Wind hatte von Sturmstärke abgenommen bis 8= stürmischer Wind.
Durch das ganze Schiff ging es: “Wir steuern Kurs.” (damals + 2 Strich Ortsmißweisung= rechtweisend Nordwest über Grund) Der Wind raumte mehr. In den 13 Monaten, die diese Reise dauerte, sah ich Carl Dau zweimal lachen. Einmal am 25. September, als “Renée Rickmers” Port Stanley verlassen hatte und der Wind umsprang, so daß das Schiff Westkurs anliegen konnte und nicht östlich der Falklands nach Kap Horn segeln mußte und heute, als Renée den rettenden Kurs in den Pazifik steuern konnte. Und wie waren die Leute dabei! Zwar war der hohe Seegang direkt von vorn und das Schiff setzte hart weg, die Back unter Wasser doch das Schiff lag auf Kurs, der Wind raumte: “Luv Brassen!“ Nach 8 h blieb die BB Wache an Deck.
Mit beiden Wachen wurde die Fockschot angeholt. Das war ein kabelgeschlagenes, verjüngtes Manillatau. Nach der Fock wurden nicht die Obermarssegel, sondern gleich volles Großsegel und volle Bagien gesetzt – und beide Wachen holten die Schoten an – und Kapitän Carl Dau freute sich und zeigte seine großen, starken, gelben Zähne.
Da standen sie, die 3 Jungs, die 3 Leichtmatrosen, die beiden 20jahrigen Matrosen und die Hände wurden gemustert. Dem Robert seine sahen am schlimmsten aus. 22 Verwundungen hatte er an den Händen. Die Haut war weg von allen Fingerknöcheln und in den Händen hatte er 6 tiefe, breite Seekutten. “Komm Robert di behandel ick erst, dat duuert nich lang, dann bist du gesund.” Mit Zweifeln wollte sich der Robert abwenden, doch allemann entschieden: „ Ja, Roberts Hände sind die schlimmsten, Robert zuerst.” Robert, ein gutmütiger, starker, für jeden Einsatz williger Bursche mußte sich von Louis zuerst behandeln lassen. Lachen und Frohsinn im BB Logis. Louis holte einen Klumpen Pech-aus dem Pickgrabben, holte einen Spahn trochnes Holz, nahm ein Streichholz, steckte den Spahn in Brand, Robert streckte seine Hand aus, Louis freute sich und grinste: “Dat deit nich weh.” Er hielt den Pechklumpen über den brennenden Spahn, so daß der flüssig glühende Pech in die offenen Seekutten (Trockenritzen) träufelte. Der Robert ging in die Luft vor Schmerz und wollte davonlaufen:”Nee-nee, komm, in jede Seekutt ‘nen schönen Tropfen und du bist gesund.”
Beim 2. Tropfen verfinsterte sich der Robert, bei einem der nächsten schrie er den Louis an: “Scheit ut du Hund, mach daß du zum Teufel kommst mit deiner Kur.” Und gewaltsam, Wut in den Knochen löste sich der Robert aus der Umklammerung.
Doch nun zur Wirkung des flüssigen Pechs in eine Seekutt. Bitte meine Damen und Herren, selbst ausprobieren: Auf einem Glattdecker mustern, voll beladenes Schiff, mindestens 3 Wochen an Kap Horn, kein Warmwasser, keine Salbe, nur Stengeschmiere, kein Verbandzeug, nur in den 3 Stunden Kojenruhe das warme Blut pulsieren lassen. Seekutten etwa 2mm tief, und 10 mm lang. Kommt dann das glühende Pech auf das rohe Fleisch, bildet sich sofort eine Haut dazwischen, die eine gründliche Heilung einleiten kann, wenn …. Ruhe herrscht. Louis hatte schon recht, wenn er seine Heilmethode anpries mit den Worten: “Het up dat letzte Schipp im hulpen.”..
Am Sonntag den 5. November 1911 hatte “Renée Rickmers“ Kap Horn besiegt und am 22. November, Buß und Bettag 1911 lief es in seinen Bestimmungshafen Mejillones auf 22 Grad Süd an der Chileküste ein.
Die Arbeiten in der Ladung waren in vollem Gange. Die Sonne stand mittags im Zenit. Robert stand gegen 11 Uhr neben der Kombüse wegen eines Trunk Wassers. Da kam Willem Franke aus der Kajüte. Die Hand voller Peseten, das Musterbuch in der Tasche. Das braune Gesicht mit den leuchtenden Augen strahlten wie die eines siegreichen Gladiators nach dem Auftritt in der Arena. Nie sah ich je einen Mann wieder mit solch alles bezwingendem Schritt. Nachmittags ging Wilhelm Franke von Bord, ordnungsgemäß abgemustert. Der Mann verließ das Schiff, dessen Seelenstärke der Kapitän weitgehend die Umsegelung von Kap Horn zu verdanken hatte. ….